Von wegen stumm!
von Johann Festner
Sven Ochsenbauer lässt in Wörth einen Stummfilmklassiker erklingen
Den Blick hat Sven Ochsenbauer strikt auf die Leinwand gerichtet. Dort flimmern in schwarz-weiß mit einem Stich ins Sepia die hektischen Bilder des Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“ über die Leinwand, während Ochsenbauers Hände über die Klaviatur des Flügels rasen: Ein Tumult herrscht in der Irrenanstalt – ein Wort, das man heute nicht mehr benutzen würde – und Ochsenbauer fängt es mit jazzigen, beschwingten Tönen auf.
Seine Patterns und Akkorde steigern sich in Geschwindigkeit und Lautstärke, bis zum unvermeidlichen Klimax. Szenenwechsel, Ochsenbauers Hände schleichen nun, streicheln nun über die Tasten: immer auf den Punkt, immer genau am Geschehen auf der Leinwand dran.
Entführung in eine längst vergangene Zeit
Am Anfang muss man sich daran gewöhnen: Das Erzähltempo eines Stummfilms ist naturgemäß gemächlicher als bei einem Tonfilm. Schließlich muss die Handlung immer über Texttafeln erzählt werden, nachdem die Mimen sie spielten. Das kostet Erzählzeit.
Doch hat man sich einmal an dieses Tempo gewöhnt, wird es spannend – und eine andere Sache wird viel wichtiger: der Musiker, der mit Verstand, Geschick, Einfühlungsvermögen und Gespür für die Szene den Film begleitet. „15 bis 20 Stunden hab’ ich das schon eingespielt“, sagt Ochsenbauer. Das ist für einen professionellen Jazz-Musiker wie den Viechtacher Ochsenbauer kein kleiner Zeitraum. Einfach aus der Hüfte schüttelt man solch eine Begleitung also nicht.
Doch ist das eine Komposition, die er auswendig lernt oder improvisiert er? „Die Motive sind vorgegeben, aber ich improvisiere auch viel“, sagt er. Dabei gebe es auch Stummfilme, die voll auskomponiert seien.
Jede Szene hat ihren ganz eigenen Klang
Es lässt sich nicht ganz einordnen, welche Musikrichtung das ist. Der Begriff „Programmmusik“ hilft nicht, gibt lediglich Auskunft über die Funktion der Töne. So swingen bei Ochsenbauer chaotische Massenszenen, wie im Hof der Anstalt. Wenn sich der Mörder langsam nähert, der Schatten sich über dem Bett aufbaut und das Messer sich dem höchsten Punkt nähert, nur um kurz darauf auf das wehrlose Opfer niederzugehen, sind es strenge, kurze, laute Töne: Das Teufelsintervall lässt grüßen.
Da werden Richter in schwerer, tieftönender Strenge vorgestellt und in Schmachtszenen lässt Ochsenbauer seine Hände in leichtfüßiger Melancholie tänzeln. Die Zuschauer erleben also nicht einfach ein Kino: Sie erleben ein fabelhaftes Programmkonzert, in dem Ochsenbauer anderthalb Stunden lang pausenlos Gefühl erklingen lässt. Erwecken die Bilder die Figuren auf der Leinwand zum Leben, verleiht ihnen Ochsenbauer erst Tiefe und Gefühl. Erst durch sein dramatisches Spiel wirkt die Theatralik der Schauspieler, ohne lächerlich zu werden. Man könnte sagen, Ochsenbauer spielt die Rolle der Würde. Denn in Stummfilmen mussten die Darsteller den fehlenden Ton durch großen Gestus ausgleichen. Das wirkt heutzutage manchmal ein wenig gekünstelt – mit entsprechender Musik wird es jedoch zur großen Show. Überhaupt bricht der Stummfilm mit den Sehgewohnheiten der Moderne – wird aber gerade dadurch zu einer spannenden Entdeckungsreise, samt windschiefen Landschaften in der Pappkulisse und arg ausdrucksstarker Maske.
Dass solch eine besondere Veranstaltung nur ein gutes Dutzend Menschen interessiert, das ist schade, für Künstler und Organisatoren gleichermaßen. Doch diese Enthusiasten durften einen hochspannenden, überraschenden Abend erleben, voller hochklassiger Musik und Filmkunst.
[Text und Bild Wolfgang Karl, Donau-Post]