Als Wörth eine Hitlerstraße bekam

von Johann Festner

Lena Schöberl, Johann Festner und Josef Schindler erinnerten an die Dreißigerjahre, in denen der Nationalsozialismus rasant Fuß fasste – auch direkt vor der Haustüre

Die Regensburger Straße bis hinaus zum früheren Bahnhof hieß Hitlerstraße. Der Platz vor dem Wörther Rathaus hieß Horst-Wessel-Platz, benannt nach einem SA-Sturmführer. Die Taxisstraße war die Hindenburgstraße.

Dass sich der Siegeszug des Nationalsozialmus in den Dreißigerjahren auch in der Umbenennung von Straßen und Plätzen zeigte, das sei zunächst mal nichts Ungewöhnliches, erklärte Johann Festner am Freitagabend im Bürgersaal. Eines habe ihn bei der Recherche aber doch erstaunt: der Zeitpunkt der Umbenennung. Bereits am 30. März 1933 stimmte der Marktrat Wörth für die Hitlerstraße.

Das ist insofern bemerkenswert, als im Wörther Sitzungssaal damals noch das demokratisch legitimierte Gremium aus der Weimarer Zeit tagte. Die NSDAP hatte dort eigentlich keine Mehrheit und der damalige Wörther Bürgermeister Saller war kein Nazi. Warum dann dennoch dieser frühe Kniefall vor Hitler?

„War es Angst? Oder war es vorauseilender Gehorsam? Wir wissen es nicht“, rätselte Festner.

Vom Tanzschritt zum Gleichschritt

Zusammen mit Lena Schöberl und Josef Schindler und auf Einladung von Kultur in Wörth beleuchtete Festner am Freitag im restlos gefüllten Bürgersaal (Maskenpflicht am Platz) die Dreißigerjahre. Die Wörther Hitlerstraße ist eines von Millionen Beispielen dafür, wie rasch und wie scharf in Deutschland ein völlig neuer Wind wehte. Die pulsierenden Zwanzigerjahre mit ihrer ungezügelten Lebensfreude, mit ihrer Begeisterung und Weltoffenheit, lagen ja noch gar nicht lange zurück. Doch damit war es nun vorbei. Über die Dreißigerjahre könnte man vielleicht die Überschrift „Vom Tanzschritt zum Gleichschritt“ setzen, sagte Josef Schindler.

Bei der Recherche – vorwiegend im Archiv der Donau-Post – hat Festner viele Belege dafür gefunden, wie sich der Übergang vom Rechts- zum Unrechtsstaat vollzog. Ein Beispiel ist die Ermordung des jüdischen Kaufmanns Otto Selz aus Straubing, der in NS-Hetzblättern als „Bauernwürger“ oder „Bauernpeiniger“ diffamiert wurde. Im März 1933 entführten ihn SA-Leute und erschossen ihn. Die Nazis stellten den skrupellosen Mord als völlig gerechtfertigte Bauernrache dar.

Kaum verhohlene Gewalt schon 1933

In Wörth kursierte nach dem Krieg das Gerücht, dass an dieser Mordtat der Wörther Fritz Essenwein beteiligt gewesen sei. Eine Falschinformation. Tatsächlich kamen die Mörder aus München, wie die Leiterin des Stadtarchivs Straubing im Jahr 2009 herausfand. Dennoch zeigt der Fall Selz laut Festner, wie viel sich die Nazis schon 1933 herausnahmen, wie dreist sie vorgingen – ohne Folgen fürchten zu müssen.

Ein Beispiel dafür ist auch der Wörther Marktrat Giehl, der vor der Machtübernahme bei einem Gedenkkranz der Nationalsozialisten die Bänder umgedreht und sie damit unleserlich gemacht hatte. Dafür bekam er 1933 die Quittung: Ein Trupp der NSDAP durchsuchte sein Haus und erklärte ihn als verhaftet. „Das war – wohlgemerkt – nicht die Polizei“, betonte Festner. „Das ging schon alles sehr schnell.“

Der Frage, warum dieser Wandel in Deutschland gar so flott ging, versuchte Schöberl auf den Grund zu gehen. Sie legte dar, wie Hitlers Bewegung den Staat ab 1933 fundamental umbaute. Die Braunen stellten politische Gegner kalt, zerstörten jeglichen Meinungspluralismus, schalteten die Medien gleich – auch die Donau-Post.

Festner zitierte einen Jahresrückblick, der Anfang der Dreißiger in der Donau-Post erschien. Der Ton des Artikels war zwar noch eher gemäßigt – und doch heißt es am Ende: „Wir wollen freudig den Kampf unseres Führers unterstützen. Sieg heil !“

Formal war Hitlers Machtergreifung legal, sagte Schöberl; auf dem Papier war alles rechtens. Mit den Ermächtigungsgesetzen setzte er die Grundrechte außer Kraft und erweiterte die eigenen Gesetzgebungsvollmachten ins Unermessliche.

Warum formierte sich dagegen in der breiten Bevölkerung kein Widerstand ? Schöberl hatte mehrere Erklärungsansätze anzubieten. Zunächst einmal müsse man sehen, dass die politischen Gegner untereinander zutiefst gespalten und zersplittert waren, sagte sie. Die Kraft für gemeinsamen Widerstand gegen Hitler vermochten sie nicht aufzubringen. Abgesehen von der SPD stimmten die Parteien für die Ermächtigungsgesetze – „und besiegelten damit ihren eigenen Untergang“.

Als Hauptgegner galten die Kommunisten

Festner zitierte in diesem Kontext aus einem Wahlaufruf der Bayerischen Volkspartei (BVP), der Anfang der Dreißiger in dieser Region erschien. Die BVP war eine bürgerliche und konservative Volkspartei, gewissermaßen die Vorgängerin der CSU. Sie war Gegnerin der NSDAP, und trotzdem heißt es in dem Aufruf: „Wählt die Rechtsparteien !“ Als Hauptgegner, als größte Gefahr, sah man damals im bürgerlichen Lager die Kommunisten. „Ein fataler Irrtum“, so Festner.

Auch die Kirchen setzten Hitler wenig bis nichts entgegen, erinnerte Schöberl. Wiewohl die NS-Ideologie eine allumfassende Weltanschauung darstellte und ergo dem christlichen Weltbild widersprach, hielten sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche „die Füße relativ still“.

Bedenken müsse man auch dies, sagte Schöberl: Hitler sei in sehr vielen kleinen Schritten vorgegangen, habe eines nach dem anderen umgebaut. Gleichzeitig sei das Alltagsleben der Bürger relativ normal weitergegangen, es habe keinen totalen Bruch gegeben. Die gewohnten Institutionen aus der Weimarer Republik bestanden fort, was beruhigte und Vertrauen schuf. Parallel und nebenher baute die NS-Bewegung eigene Strukturen auf.

Formen des Widerstands auch in der Region

Doch obwohl die breite und offene Opposition gegen Hitler ausblieb: Auch in der Region gab es sehr wohl Gegenwind. Festner nannte als Beispiel die Wörtherin Maria Papp, die eine katholische Mädchengruppe anführte und Wallfahrten unternahm. Die NS-Machthaber gingen gegen sie vor, erließen Verbote, beäugten jede Handlung scharf und beschlagnahmten Fahnen. „Die haben sich vor kleinen Mädchen gefürchtet“, betonte Festner. Papp ließ sich davon aber kaum beeindrucken, sie setzte die Aktivitäten unbeirrt fort. „Sie hat den Mädchen einen anderen Lebensweg aufgezeigt als den des Nationalsozialismus“, sagte Festner – „für mich ist das eine Form des Widerstands.“

Auch der Wiesenter Pfarrer Tiberius Burger ließ sich von der neuen Bewegung nicht vereinnahmen. Bei einem Aufmarsch weigerte er sich, die Hakenkreuz-Fahne zu grüßen. Er machte nicht, was alle machten. Das hatte Folgen, er kam vor ein NS-Gericht.„Die Wiesenter haben nach Burger eine Siedlung benannt“, sagte Festner. „Sehr zurecht !“


[Text: Simon Stadler, Donau-Post; Foto: Verfasser unbekannt]

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